Wenn Sie in China oder auch nur in chinesischen Restaurants waren, dann wissen Sie, dass der Drache keine Eintagsfliege ist – er ist überall. Aber wie konnte er sich all diese Aufmerksamkeit erobern? Hinter dem chinesischen Drachen verbirgt sich offensichtlich viel mehr, als man unmittelbar glauben könnte.
Am Anfang
Jeder weiß, dass es in der Realität keine Drachen gibt. Und dennoch ist niemand im Zweifel darüber, wie ein Drache aussieht. Auch in China nicht, wo sie bereits seit frühester Zeit abgebildet werden. Stellen Sie sich vor, man könnte in der Zeit zurückreisen, aus dem Nebel treten und einen von ihnen ganz aus der Nähe betrachten. Das kann man tatsächlich, naja fast.
Das chinesische Wort für 'Drache' findet sich bereits in den allerersten chinesischen Schriften, die ca. 3.500 Jahre zurückreichen.
Als die Chinesen mit der Erfindung schriftlicher Aufzeichnungen in die Geschichte eintraten, waren dies vor allem Unterlagen zeremoniellen Charakters. Die Geistlichen des Kaisers befragten das Orakel, ob eine Jagd von Erfolg gekrönt sein würde, ob ein feindlicher Staat einen Fluch auf den Hof gelegt hatte, ob es Regen geben würde, um nur einige zu nennen. Die Worte des Orakels wurden auf Tierknochen, Schildkrötenschildern oder Bronzegefäßen aufgezeichnet, je nach Zeitalter. Durch diese alten Fragmente wissen wir, dass der Drache tatsächlich existiert hat, und wie er aussieht.
Ist das wirklich wichtig?
Und warum muss ich das wissen? Vielleicht, weil 1,3 Milliarden Chinesen behaupten, dass sie „vom Drachen abstammen“. Mit einer etwa 5.000-jährigen Geschichte ist China eine der ältesten heutigen Zivilisationen der Welt. Deshalb ist der Drache nicht nur ein Symbol des chinesischen Erbes, sondern auch des spektakulären Aufstiegs des Landes in der modernen Zeit. Mit einem Zwinkern in den Augen kann man daher getrost sagen – kennen Sie den Drachen, dann kennen Sie China. Jedenfalls ein bisschen.
Sperren Sie die Ohren auf
Aber beginnen wir am besten von vorn
Zuerst etwas über chinesische Schriftzeichen im weitesten Sinne. So wie bei der Entstehung der Schrift an anderen Orten nahm auch die chinesische Schrift in Form von Bildern oder stilisierten Formen ihren Anfang. Die Menschen zeichneten das, was sie gern erzählen wollten. Ein Pferd, eine Kuh, den Mond, die Sonne – Dinge, die man berühren oder sehen konnte. Als die Gesellschaft immer komplexer wurde, wurde es notwendig, den magischen Sprung von physischen Gegenständen zu abstrakten Konzepten vorzunehmen. Das führte im Laufe der Zeit zu einer formalen Erklärung des Abgebildeten, und so wurden primitive Bilder in richtige Schrift umgewandelt. Und genau das ist der springende Punkt: Laut und Wort hängen unlösbar zusammen. Denken Sie daran, wenn Sie den Drachen sehen.
Dürfen wir vorstellen ...
Lassen Sie sich eines Besseren belehren
Hier ist er wieder
und nochmal
Und hier in einer Vielzahl von Formen
Die frühesten Versionen des Zeichens befinden sich auf Tierknochen und haben ganz klar etwas Bildliches an sich, während spätere Abbildungen auf Bronzegefäßen eher stilistischer Art sind. In seiner jetzigen Form ist der Drache fast unerkennbar verglichen mit seinen entfernten Vorvätern: 龍 auf Chinesisch (traditionell), 龙 auf Chinesisch (vereinfacht) und 竜 auf Japanisch. Egal welche Version Ihnen durch die Zeiten und Orte begegnet, werden Sie sich selbst die Frage stellen: Was in aller Welt soll das sein? Um dies zu beantworten, müssen wir die Form und den Laut betrachten, die dieses flüchtige Wesen darstellt.
Beurteilen Sie den Drachen nicht nach seinen Schuppen
Experten für frühe chinesische Schrift haben uns berichtet, dass das Wesen ursprünglich piktografisch war, also entsprechend einem echten Wesen gezeichnet wurde. Die linke Seite soll demnach den Kopf und die rechte den Körper darstellen.
Bei einigen Formen sind auch Beine am Körper. Die Spitze auf dem „Kopf“ wird entweder als Horn oder eine ornamentale Kopfbedeckung interpretiert, die es auch bei zwei der vier anderen heiligen Tiere (Phönix und Tiger) gibt. Einige Forscher haben vorgeschlagen, dass es eine Art Eidechse oder ein Krokodil sein könnte. Aber wenn wir ganz ehrlich sind – was sollte so fantastisch an Reptilien sein, dass man ihnen den hohen Status verleiht, den der Drache seit Jahrtausenden genießt? Da muss etwas anderes dahinterstecken.
Und das Wort hatte … die Natur
Wenn die Form ihre Grenze erreicht hat, übernimmt der Laut. Im modernen Chinesisch heißt der Drache lóng. Wir wissen nicht mit Sicherheit, wie die Aussprache vor Tausenden von Jahren klang, Forscher haben jedoch ein wahrscheinliches Szenario anhand alter Reimbücher rekonstruiert. Eine der Theorien besagt, dass es wie ljwong geklungen haben könnte, aber das kann natürlich keineswegs endgültig bestätigt werden.
Oft können Forscher Wörter paaren, die miteinander verwandt sind, also Wörter, die grundlegend dieselbe Bedeutung haben. Im Falle des Drachen gibt es keine klaren Verwandtschaften, was darauf hindeutet, dass es sich um ein ganz besonderes Wort handelt. Ein Forscher behauptet, dass das Wort mit dem tibetanischen brug verwandt ist, das 'Donner' oder 'Drache' bedeutet.
Ein Ort jenseits des Regenbogens
Wenn wir bei der chinesischen Sprache bleiben, kann es auch mit lóng (früher ljung) 隆 verwandt sein, was einer anderen Quelle zufolge ‘donnernd’ bedeutet.
Ein anderes potenziell verwandtes Wort könnte hóng (früher gong) 虹sein, das Regenbogen bedeutet.
Interessanterweise zeigt die früheste grafische Form für 虹 einen gekrümmten Drachen mit einem Kopf an jedem Ende, den sogenannten Regenbogendrachen.
Irgendwie macht das Sinn, da der chinesische Drache als außerordentlich flüchtiges Wesen bekannt ist und in der populären Mythologie oft mit Wasserelementen als steuernder Einheit und Wettererscheinungen wie Regen, Wolken und Donner in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich haben Forscher mit dem Gedanken gespielt, dass die vereinten elementaren Kräfte, Regen und Donner, die „echte“ Bedeutung des chinesischen Wortes für Drache sind, nämlich 'Blitz'.
Sturm im Anzug
Auf eine Weise wird die Idee, dass der Drache mit Wettererscheinungen verbunden ist, von der Beschreibung des Drachen in einem tonangebenden Wörterbuch aus dem zweiten Jahrhundert unterstützt. Dort steht:
„Der Drache ist das höchste der geschuppten und reptilen Wesen, er kann sich in der Dunkelheit verbergen oder bei Tageslicht auftauchen. Er kann kleiner oder größer werden, kürzer oder länger. Er steigt im Frühjahr zum Himmel empor und taucht im Herbst in die Tiefen des Wassers hinab.“
Dies brachte einen der Forscher dazu zu überlegen, ob der Drache in Wirklichkeit die Verbindung zwischen Luft und Wasser sei, also die Verkörperung der hydrolytischen Kräfte, Donner, Sturm und Blitz. Das lassen wir erstmal so stehen. Mit etwas Wohlwollen betrachtet, stimmt diese Erklärung gut mit allen Aspekten des Drachen überein:
- Die Form: Der Blitz als Form gewordenes Phänomen, basierend auf der gewundenen Bewegung durch ein symbolisches schlangenähnliches Wesen, dessen heiliger Status durch eine rituelle Kopfbedeckung angegeben wird.
- Der Laut: Eine Aussprache, die die Natur nachahmt und an einen Blitzschlag erinnert.
- Die Bedeutung: Eine ursprüngliche Naturkraft – hydroelektrische Kraft
All dies symbolisiert durch eine einfache Größe. Ziemlich genial.
Wurde der Code geknackt?
Sollte es wirklich so einfach sein, den Drachencode zu knacken? Sicher nicht. Der Drache ist eine komplexe Größe, die viel mehr beinhaltet, als was wir hier beleuchten konnten. Vor allem ist der Drache nicht allein ein chinesisches Phänomen – tatsächlich ist die ganze Welt voller Drachensagen und -legenden. Das alte Mesopotamien hat seinen Marduk, Mesoamerika hat seinen Quetzalcoatl, die nordischen Bewohner haben ihre Midgardschlange. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Aber lassen Sie einfach den chinesischen Drachen im Rampenlicht stehen – er hat bewiesen, dass er allein klarkommt.